Kochbuch-Rezension
von Benjamin Cordes (01. Dezember 2020)

Lutz Geißlers Almbackbuch

Die besten Brotrezepte und -geschichten von der Kalchkendlalm. Aus Liebe zum Brot

8,9 / 10

Das Kochbuch

Jedes Jahr im Sommer zieht Lutz Geißler für ein paar Wochen auf die österreichische Kalchkendlalm im Salzburger Land. Dort gibt er heiß begehrte Brotbackkurse für kleine Teilnehmer-Gruppen, die sich hier ganz ungestört und intensiv ins Brot backen vertiefen können. Über die Jahre ist so eine Vielzahl unterschiedlichster Rezepte entstanden, von denen Geißler 160 in diesem 450 Seiten starken Brotbackbuch zusammengefasst hat. Es ist ein Buch von unvergleichlichem Umfang, großer Tiefe und atmosphärischer Schilderung.

Der Inhalt

Dieses Buch ist viel mehr als eine reine Rezeptsammlung. Denn auf den ersten 70 Seiten führt Geißler seine LeserInnen mit lesenswerten Geschichten nicht nur ein in die Geschichte der Kalchkendl-Alm und seiner Wirtin Roswitha, mit der ihn eine innige Freundschaft verbindet. Man erfährt hier sogar auch, wie die die Alm umgebenden Alpen entstanden sind - schließlich ist Lutz Geißler Geologe.
Danach folgen die wichtigsten Grundlagen und Tipps zum Backen: Zubehör, Zutaten (Qualität und Funktion), Zeit und Temperatur etc. Auch wie man seinen eigenen Sauerteig bzw. das Anstellgut ansetzt, erfährt man hier. Ein weiterer ausführlicher Abschnitt widment sich dem Backen im Holzofen.

Die Rezepte

Die sehr variantenreichen Rezepte sind eine spannende Mischung aus Brot-Klassikern bzw. ihnen entlehnten Broten und modernen Trends, insbesondere im Bereich der grobporigen Weizensauerteigbrote. Die Namen der Brote sind zum Teil feststehende Bezeichnungen und/oder beschreiben die Art des Brotes, manche Namen sind ausgedacht und der Entstehungsgeschichte des jeweiligen Brotes oder dem Ort entlehnt. Vor jedem Rezept steht ein lesenswerter Kurztext, zum Beispiel zum Charakter des Brotes oder seiner Entstehung.
Wie man es bereits von Geißlers Brotbackbüchern kennt, findet man neben dem Rezept außer der Zutatenliste noch die wichtigsten Kennwerte (Zubereitungszeiten, Teigmenge, Formgebung, Reifezeiten, Temperatur und ZeitI) und ein Planungsbeispiel.
Dies sind die Rezeptkapitel mit einigen Beispielen:

Brot

  • Roggen- und Roggenmischbrote, u.a. mit: Großer Bauernleib, Pumpernickel, Sonnenblumenbrot
  • Weizen- & Weizenmischbrote, u.a. mit: Vollkorn-Buttertoast, San Francisco Sourdough Bread, Walnuss-Brot
  • Dinkel- & Dinkelmischbrote, u.a. mit: Dinkelkastenbrot, Sandwichbrot, Vierkornbrot, Dinkelvollkornsauerteigbrot

Kleingebäck

  • Weizen, u.a. mit: Baguette au levain, Brezeln, Handsemmeln, Milchhörnchen, Pizza, Sonntagsbrötchen
  • Roggen, u.a. mit: Vinschgerl, Schüttelbrot
  • Dinkel, u.a. mit: Dinkellaugengebäck, Kartoffelbrötchen, Dinkelseelen

Feingebäck

  • Kuchen&Co., u.a. mit: Apfeltaschen, Dinkelstrudel, Hefekuchen, Mohnrolle
  • Brötchen, u.a. mit: Hüttenmilchbrötchen, Krentebollen, Kürbiswattebausch
  • Brioche, Schnecken, Zöpfe & Co, u.a. mit: Almzopf, Brioche mit Kamut, Kanelboller, Quarkschnecken
  • Geblättertes, u.a. mit: Buttercroissants, Pain aux Raisins, Schweinsohren, Brioche feuilletée

Der Autor

Die (Erfolgs-)geschichte von Lutz Geißler ist ziemlich einmalig. Während seiner Diplomarbeit suchte er Abwechslung und Zerstreuung und begann zu backen. Anfangs sammelte er alle seine Rezepte in einem Blog. Im Jahr 2012 fing er an, Brotbackkurse zu geben und schrieb bereits sein erstes Buch. Damals arbeitete er nach eigener Schilderung noch 10 Stunden pro Tag als Chefgeologe in einem Bergbauunternehmen und widmete sich anschließend weitere 8-10 Stunden dem Brot. Bis irgendwann klar war, dass das Backen im Zentrum seiner Arbeit stehen sollte. All das erfährt man in einem kleinen Selbstportrait zu Beginn des Buches, das eine typisch selbstironische Charakterisierung ist, die mit einem Schuss Selbstironie und subtilem Humor geschrieben ist. Mittlerweile hat Geißler 10 Bücher in 7 Jahren geschrieben und sein Hintergrund als Wissenschaftler ist ganz offenkundig eine hervorragende Grundlage für die Detailversessenheit, das Verständnis der Zusammenhänge und die Neugierde gewesen, um ein hervorragender Brotback-Autor zu sein. Schließlich sind Chemie und Physik beim Brot backen elementar.

Die Zielgruppe und der Schwierigkeitsgrad

Nur eine kleine Zahl der Rezepte in diesem Buch sind gut für Einsteiger geeignet. Denen empfehlen wir eher Geißlers 2-teilige „Brot backen in Perfektion“-Reihe (auch mit Hefe) und die besten Brotrezepte für jeden Tag. Wenn man allerdings die ersten Schritte schon getan hat, kann man sich mit diesen Rezepten weiterentwickeln. Generell versteht Geißler sie nach eigener Schilderung eher als Wegweiser und weniger als Anleitungen, den man streng zu folgen hat. Das hat wiederum auch mit den vielen Faktoren zu tun, von denen das Gelingen eines Brotes abhängt (Zutaten, Verarbeitung, Temperaturen etc.).

Die Optik

Den allergrößten Teil der schönen Bilder hat Geißler bei den Kursen selbst „aus der Hüfte“ vor Ort geschossen. Einige weitere Bilder wurden u.a. von Teilnehmern beigesteuert.
Das Layout ist wunderbar übersichtlich und führt die LeserInnen gut durch die Rezepte. Dahinter steckt Miriam Strobach, die schon vielen Kochbüchern den perfekten Schliff gegeben hat.

Die Zutaten

Lutz Geißler spricht sich deutlich für Bio-Getreide aus, die Gründe dafür (Boden-, Klima- und Gesundheitsschutz) liegen auf der Hand. Am leichtesten findet man Bio-Mehl in guter Auswahl in Drogerien, Bio-Läden oder größeren Supermärkten. Möchte man es noch „besser“ machen, kauft man regionales Mehl von direkt vermarktenden Mühlen.

Das Fazit

Ein in Umfang und Inhalt sehr beeindruckendes Buch, dessen Stärke nicht nur in seinen Rezepten, sondern auch in den teils emotionalen Schilderungen der Kurs-Atmosphäre, liegt. Offenbar haben diese Almkurse ihre eigene Magie und dürften nach diesem Buch künftig noch schneller ausgebucht sein. Vor allem aber ist dieses Buch aus einem Motiv entstanden, das Geißler auch ganz vorne auf dem Cover angiebt: „Aus Liebe zum Brot.“

Bild
geschrieben von:
Benjamin Cordes
Benjamin Cordes ist Autor und Experte für Kulinarik. Seine Filme sind im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu sehen, seine Texte u.a. im Magazin Falstaff zu lesen. Er ist Gründer von Kaisergranat.com und Initiator des Deutschen Kochbuchpreises.

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