Ein Besuch auf dem Hof von Lars Odefey
Mehre in der Nähe von Uelzen. Lars Odefey sitzt in seinem riesigen Garten vor seinem Fachwerkhaus und ist eigentlich ganz zufrieden. „Dass ich es nach einem Jahr schon geschafft habe, hiermit Gewinn zu machen, ist schon ganz in Ordnung“, sagt er mit einer leicht nasalen, erkennbar norddeutsch eingefärbten Stimme. Sonnenbrille im blonden Haar, Shorts, ausgelatschte Stoffschuhe. Ein entspannter Sommernachmittag. Wie hat er es als Landwirt geschafft, so gelassen sein zu können? Einerseits vermutlich, weil er insgesamt ein ziemlich lässiger Typ ist. Aber mit Sicherheit auch, weil er ein sehr gutes Produkt herstellt. Ein Weidehuhn, nach dem sich Spitzenköche die Finger lecken.
Über Umwege zum eigenen Betrieb
Dabei sah es jahrelang nicht unbedingt danach aus, als ob Lars Odefey in die Landwirtschaft einsteigen würde. Zwar hatte er seinem Vater schon immer in dessen zweitem Berufsleben als Landwirt bei der Arbeit geholfen. Bei den Kartoffeln, bei den Möhren, bei den Himbeeren, beim Wild und bei den Hühnern. Doch nach seinem Studium des Ökolandbaus in Eberswalde, einem Praktikum auf dem Bio-Gut von Prinz Charles („für mich der perfekte Bio-Betrieb“) und dem Master in „Organic Food Chainmanagement“ in Hohenheim machte er erst ein paar andere berufliche Ausflüge. Unter anderem ins Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung östlich von Berlin, ins Thüneninstitut in Braunschweig, zum Landwerthof in Stahlbrode, einer Agentur für strategische Beratung in Berlin und zum Bell-Konzern nach Seevetal bei Hamburg. Für die dortige Schinkenproduktion hat er jede Woche 1500 Tonnen Fleisch eingekauft. Massenware. Sein Berufsleben spielte sich zwischen Excel-Tabellen und Telefon ab. Ein gutes Gehalt, aber kein direkter Kontakt mehr zur Landwirtschaft. Und jeden Freitagabend war er vollkommen ausgelaugt. „Was bringt dir das alles, wenn du irgendwann übermüdet am Baum landest!?“, fragte er sich.
Die Rückkehr
Lars Odefey musste zurück in seinen Heimatort nach Mehre. „Am Ende ist es einfach dieser schöne Ort gewesen. Es ist der Hof, der Garten. Das ist eben meine Heimat. Da hinten habe ich mein erstes Bier getrunken, heimlich die ersten Kippen geraucht.“ Sein Vorteil: die Infrastruktur für eine Hühnerhaltung war zum Teil schon angelegt, seine Nachbarn und Kollegen haben ihn akzeptiert und unterstützt. Und nicht zuletzt hatte er schon mit seinem Vater viel mit Hühnern zu tun, ihm unter anderem bei der Schlachtung geholfen. „Manchmal war ich freitags um 3 Uhr aus der Disko zurück und habe samstags um 6 Uhr im Schlachthaus gestanden. Hart...“, erinnert er sich.
Der Beginn von Odefey und Töchter
Und dann ging sie los, die bislang erfolgreiche Geschichte mit „Odefey&Töchter“. Aber warum läuft sie so gut? Lars muss kurz überlegen, was er da eigentlich gemacht hat. „Ja doch, ich hab das Ganze schon durchdacht“, sagt er und wirkt dabei, als ob er sich fast selbst davon überzeugen müsste, dass er das Ganze mit einem guten Plan angegangen ist. Er hat seinen Qualitätsanspruch formuliert, eine Zielgruppe definiert, ein Corporatedesign entwerfen lassen. Und dann war da noch eine Reise nach Kenia. „Dort leben die Leute von einfachsten Geschäftsmodellen: Sie pressen zum Beispiel eine Frucht aus, verkaufen den Saft und können davon leben. Und dann habe ich mir gedacht: ok, so viel komplizierter ist das hier auch nicht. Man muss auch einfach mal machen und die Angst Angst sein lassen.“ 2016 fiel die endgültige Entscheidung, 2017 verkaufte er die ersten Hühner.
Warum Sterneköche ihre Hühner bei Lars Odefey kaufen
Viele Köche hat Lars Odefey von Beginn an besucht, ihnen von seiner Philosophie erzählt, versucht, sie von der Qualität seiner Hühner zu überzeugen. Der Lohn: eine Kundschaft, die mit Auszeichnungen und Sternen reich geschmückt ist. Was ihm dabei entgegen kommt: Früher kaufte die Spitzengastronomie vor allem die bekannten Mieral- und Bressehühner aus Frankreich. Alleiniger Maßstab war die Produktqualität. Doch seit einiger Zeit ist der regionale, nordische Bezug dazugekommen. Ein echter Trumpf für Odefey, der seine Hühner in der Lüneburger Heide aufzieht.
Ein paar seiner aktuellen Kunden: das „No. 4“ von Jens Rittmeyer, der das Huhn in seinem eigenen Fett brät und den Geschmack so noch weiter hervorhebt, in Berlin das Nobelhart&Schmutzig und das „Rutz“, das Jante in Hannover, das Aqua in Wolfsburg, in Hamburg Anna Sgroi, das Haco und bald auch das neue 100/200 von Thomas Imbusch. Das Beste für Lars Odefey: „Die Köche zu besuchen, mit ihnen sprechen und dann das Gericht mit den eigenen Hühnern zu probieren.“ Eins von Lars´ Lieblingsgerichten stammt aus dem Jante. Tony Hohlfeld kombiniert das Huhn dort mit in brauner Butter geschwenktem Spinat, frittierten Kapern, konfiertem Eigelb, Deichkäsechips und Liebstöckelöl.
Die Hühner
Die Haltungsbedingungen von Odefeys „Töchtern“ sind geradezu idyllisch. Als Rassen hält er die berühmten Bresse Gauloise, Marans und Sulmtaler. Und dann gibt es noch die „JA657“. So heißen die Hybriden, die hier aufgezogen werden. Hybriden? Sind das nicht die schnell wachsenden Masthühner aus der Massentierhaltung? Ja, auch. Aber ganz so einfach ist es nicht. Denn diese Kreuzung aus der Henne JA57 und dem Hahn I66 ist für die Freilandhaltung besonders gut geeignet. Weil sie krankheitsresistent und sehr agil ist und auch den kalten Winter locker draußen aushält. „Und sie ist ein guter Kompromiss zwischen einer tollen Fleischqualität und einem nicht zu langsamen Wachstum, sodass sie sich auch noch wirtschaftlich halten lässt.“
Einfache Ställe, robuste Tiere
Alle sechs Wochen fährt Odefey mit seinem Ford-Kombi zu einer Familienbrüterei ins Elsass und holt die frisch geschlüpften Küken ab. Nach fünf bis sechs Wochen im Aufzuchtstall haben die jungen Hühner ihre ersten Federn und sind robust genug, um auf die umliegenden Wiesen gebracht zu werden. Dort leben sie noch etwa acht Wochen aufgeteilt auf zwei Mobilställe im Freien. Die Ställe haben keine Dämmung, keine Heizung. „Ich möchte robuste Tiere, die auch bei Schnee draußen sein können“, erklärt Odefey.
Odefey füttert persönlich
In den Ställen gibt es auch keine automatisierte Fütterung, kein „all you can eat“ für Hühner. Stattdessen füttert Lars Odefey seine Tiere mit der Hand, täglich drei mal. „Genau das will ich ja: mit den Tieren persönlich zu tun haben“ Das Bio-Futter besteht unter anderem aus Weizen, Mais, Lupinen, Raps und Erbsen. Rund 100 Tage leben die Hühner hier bis zur Schlachtung. In der konventionellen Mast sind es gerade mal 32 Tage, im gesetzlichen Bio-Standard immerhin 81 Tage.
Die große Besonderheit: Hof-Schlachtung
Während fast alle anderen Hühner am Ende ihres Lebens noch einmal verfrachtet werden, bleiben sie bei Lars Odefey bis zum Schluss auf dem Hof. Abends in der Dunkelheit sammelt er sie ein, morgens in der Dämmerung wird geschlachtet. Gerade mal rund 80 Tiere pro Woche. Eine weitere Besonderheit: Odefey und seine zwei Helferinnen schlachten trocken, lediglich beim Rupfen kommen die Tiere mit Wasser in Berührung, wenn der Schlachtkörper noch geschlossen ist. „Das Wasser zieht sonst ins Fleisch ein, ist ein Nährboden für Keime und somit ist das Fleisch besser für eine längere Reifung geeignet.“ Sie soll der nächste Schritt sein. Bis zu 14 Tage hält Odefey für möglich. Die Reifung soll das Fleisch mürber und den Geschmack intensiver machen. „Das ist normalerweise bei Geflügel kein Thema. Aber meine Hühner haben durch die ständige Bewegung so viel Bindegewebe, dass sie von einigen Verbrauchern und auch Köchen als relativ fest empfunden werden.“ Diesen Effekt könnte Odefey mildern und dabei den Geschmack noch weiter verbessern. Wobei der ja ohnehin schon zum Besten beim Geflügel gehört, wenn man seinen Kunden glaubt.