Jens Rittmeyer ist mit seinem sommerlichen Pop up-Restaurant zu Gast auf dem Biohof Ottilie von Kerstin Hintz. Nach Bioland-Standard wird hier in Mittelnkirchen Kern- und Beerenobst angebaut, darunter besonders viele alte Sorten von Äpfeln, Birnen und Kirschen. Das Hofcafé und Kerstin Hintz sind außerdem bekannt für ihre hervorragenden Kuchen aus den eigenen Früchten.
Wir sitzen an einer langen Tafel unter weißen Lampignons, ringsherum lauter Obstplantagen. Viel schöner kann man im Sommer eigentlich nicht sitzen. Ganz hinten am Horizont sieht man Hamburg leuchten. Ansonsten: Stille, nur das Rauschen der Blätter im leichten Sommerwind.
Seit kürzerer Zeit baut Kerstin Hintz neben Obst auch Gemüse und Kräuter an. Bislang noch in kleinem Maßstab, fast exklusiv für Jens Rittmeyer. Der braucht nur ein paar Schritte aus seiner mobilen Küche gehen und kann aus dem Vollen schöpfen. Besser und frischer geht es nicht.
Für das heutige Menü erntet Rittmeyer rote und gelbe Beete, Malvenblüten, Johannisbeeren, Jostabeeren, Himbeeren und die letzten Walderdbeeren vom Wegesrand. Das Menü wechselt jeden Tag, je nach Ernte und Reife der Früchte und Gemüse.
Den Beginn machen sechs Kleinigkeiten: Ein Kohlrabisaft, der mit Zitronenverbene aromatisiert ist, eine nachempfundene Erbsenschote mit Erbsencreme und Erbsenkernen, ein knuspriger Toast mit in hauch dünn gehobeltem Apfel gewickelter Hühnerlebercreme, ein Leberpaté-Würfel, gegrillte gelbe Beete und ein Grünkohlchip mit Rapscreme. Kurzweilig und abwechlungsreich. Das Highlight ist der frische, perfekt abgeschmeckte Kohlrabisaft.
Weiter geht es mit einer aromatischen, süßen Duwicker Möhre, einer alten Karottensorte. Sie wird von einer leicht herben Gierschcreme und süßlichem Sonnenblumenmark begleitet.
Das Menü steigert sich nun kontinuierlich. Die Makrele ist herrlich kross gebraten, was ihr auf angenehme Weise etwas von der ihr manchmal typischen Tranigkeit nimmt. Die Röllchen von gepickelter Gurke bringen Frische. Die Sauce dieses Gangs ist ein erster Hinweis auf Rittmeyers Kernkompetenz. Denn viele wissen es längst: Der Sternekoch gilt als „Saucengott“ und zeigt hier sein ganzes Können. Ein paar Tage zuvor hatte er auf dem Hof bereits Dillblüten gesammelt und aus ihnen eine Sauce gekocht, die in jeder Hinsicht perfekt ist. Die ätherische Würze der Blüten, eine leichte Säure und als Abrundung eine schöne Butternote. Wenn man könnte, würde man diese Sauce glasweise trinken wollen.
Weiter geht es mit einem frischen Tartar von einem Saibling aus Lüneburger Zucht. Es wird angegossen mit einer geräucherten Buttermilch, die die Illusion von Räucherfisch-Tartar entstehen lässt. Das Fichtensprossen-Sorbet schmeckt gut, seine Süße ist allerdings zu vordergründig. Etwas herber und weniger dessert-artig abgeschmeckt würde es das Gericht noch besser ergänzen. Die angelegten Blätter des Austernkrautes fügen einen knackig-fleischigen Biss hinzu.
Bei den darauf folgenden Rote Beete-Ravioli ist der etwas dick geratene Teig der einzige kritikwürdige Punkt, ansonsten stimmt hier alles. Intensiv-erdige Füllung, leichter Crunch durch knusprige Brotbrösel und eine Sauce, die es in sich hat. Im vorigen Jahr hat Rittmeyer für sie auf dem Biohof Birnen gesammelt und aus ihnen einen Essig angesetzt. Er gibt der Sauce eine süß-saure Richtung, enorm viel Tiefgang, verbunden mit einem leichten Holzton. Er rührt vermutlich daher, dass Rittmeyer die Birnen „mit Haut und Haar“ eingemaischt hatte. Köstlich.
Für das nächste Gericht machen wir einen kleinen Spaziergang durch den Garten zum Grill. Dort wurde lila Spitzkohl mehrere Stunden über Holzkohle gegart. Nachdem Rittmeyer das verbrannte Äußere entfernt hat, kommt darin wunderbar weichgegarter Kohl mit minimaler Rauchnote zum Vorschein, nur eine kräftige Taubenjus und knuspriges Pseudo-Getreide (Quinoa und Buchweisen) vollenden das Gericht.
Nun bricht die Dämmerung über dem Alten Land an, der Himmel färbt sich orang-rosa-lila, eine leichte Brise bringt Abkühlung von der Hitze des Tages und lässt die Lampignons im Wind baumeln.
Auf dem Tisch geht es unterdessen mit Rittmeyers Kernkompetenz weiter. Denn wie in jedem seiner Menüs folgt an dieser Stelle „Sauce und Brot“ mit kräftigem Sauerteigbrot und drei Kostproben seiner Saucenkunst. Eine kräftige Rehsauce (oben), würzige Röstzwiebel-Boullion (unten) mit der Süße von lange geschmorten Zwiebeln und eine köstliche Sauce von gerösteten Champignons (links), in der das Pilzaroma wunderbar konzentriert ist. Nächstes Mal gerne noch ein Löffel mehr davon!
Als „Hauptgang“, sofern man bei dieser Anzahl von Gängen davon überhaupt sprechen kann, gibt es eine Entenbrust mit bester Textur, aromatischem Fettanteil und schönen Röstaromen. Ergänzt wird sie ganz puristisch von einer auf dem Grill gegarten Rote Beete und rote Beete-Jus. Nur logisch, dass auch der zum Niederknien gut ist.
Das Finale besteht aus einer Beerencreme, die nach Art einer Lemoncurd zubereitet ist – also mit Ei und Butter aufgeschlagen. Cremig, dicht, fruchtig. Obenauf liegt eine Nocke aromatischen Sorbets von Lakritz-Tagetes, umringt werden beide von den wenige Stunden zuvor gepflückten Beeren des Hofes.
Damit endet ein Sommerabend auf kulinarischem Spitzen-Niveau, den man sich kaum schöner malen könnte.
PS: Im kommenden Jahr erscheint Rittmeyers eigenes Saucen-Kochbuch. Bis es soweit ist empfehlen wir unten drei weitere Kochbücher zum Thema.
Offenlegung: Ich danke Jens Rittmeyer und dem Navigare Hotel für die Einladung.