Karotte und Zander mit Haselnuss
Karotte und Zander mit Haselnuss
Kulinarisches

Der Fisch fängt am Kopf an zu schmecken

Das Jahr beginnt im Hamburger Restaurant „100/200“ von Sternekoch Thomas Imbusch mit dem Motto „Wasser und Salz“. Fisch, Meeresfrüchte und konservierte Produkte aus dem Vorjahr stehen dann im Zentrum seiner puristischen Küche. Fleisch hat Pause und die meisten Gemüse warten noch auf´s Frühjahr. Die Meerestiere verarbeitet Thomas Imbusch, wie es dem Konzept seines Restaurants entspricht, immer ganz. Zum Vorteil des Geschmackes.

 

Zu Beginn des Abends gibt es, wie gehabt, eine kleine Einstimmung am Küchenpass mit den fünf Geschmacksrichtungen. Für die Süße ein (fast etwas zu süßer) Molke-Macaron mit einer (etwas zu dicken) Scheibe Lardo und süßlicher Zwiebel. Für die Säure steht eine sehr stimmige Kombination aus Zierquitte und Ziegenquark auf einer Art Knäckebrot. Die Salzigkeit verkörpern ein kleines Tartelett mit Rührei, Schwarzwurzel und Fenchel, die Bitterkeit ein perfekt frittiertes Blatt Grünkohl mit Vogelbeere. Die herzhafte Geschmacksrichtung Umami erlebt man in Form eines klassischen Dashis mit Kombu und Bonitoflocken. Leider streikte die Kamera, daher hier noch keine Bilder.

Bild
Sauerteigbrot mit Butter, Rosmarin- und Chili-Öl

Stets ein Highlight ist das Sauerteigbrot von Thomas Imbuschs Patissier Mario Michaelis. Außen herrlich kross, innen saftig und weich. Dazu gibt es eine leichte Butter, außerdem Rosmarin- und Chili-Öl mit dezenter Schärfe. Allein damit könnte man einen ganzen Abend zubringen.

Bild
Karotte und Zander mit Haselnuss

Weitere Kleinigkeiten vorweg starten am Tisch mit einem halben Karotten-Macaron auf dem sich eine kleine Scheibe Karotte und geraspelte Karotte finden. Zusammen mit kleinen, rohen Stücken Zander, gekochten Rapskernen und Haselnuss ergibt sich ein schönes Zusammenspiel unterschiedlichster Texturen, von knusprig über saftig bis kernig. Der Fisch steht hier geschmacklich nicht unbedingt im Vordergrund, sondern fügt sich in die bewärte Karotten-Nuss-Kombination gut ein.

Bild
Frittiertes Wirsingblatt mit Kapern und Bärlauch-Gel
Bild
Gebackene Auster

Auf einem fragilen, frittierten Wirsingblatt gibt es Tupfer von einem Gel, das aus dem Einlegesud der Bärlauch-Blüten gemacht ist. Außerdem kleine Senfmayonnaise-Klekse, frittierte Kapern und feine Bottarga-Späne. Erstaunlich, welche Intensität ein Kohlblatt mit ein paar Kleksen haben kann.
Als weiteren Snack gibt es eine in Kartoffelstroh gebackene Auster, bei der sich Knusprigkeit, Cremigkeit und die zarte Konsistenz der Auster ebenfalls schön miteinander verbinden. Die Erklärungen durch die Küchencrew sind merklich detaillierter und ausführlicher als früher geworden. Mit dem Vorteil, dass man mehr über die Gerichte und ihre Zubereitung erfährt und dem gleichzeitigen Nachteil, dass man manches auch schnell wieder vergisst.

Bild
Roher Saibling mit Kaviar
Bild
Die Saibling-Essenz
Bild
Geflämmter Saibling-Bauch

Die nächste Runde besteht aus einer Zubereitung vom Saibling in drei Varianten. Dünne rohe Scheiben gibt es mit Kaviar, Perlzwiebel und einem ölig-würzigen Sud. Aus den Karkassen des Fisches inklusive Kopf wurde mit spür- und schmeckbarem Aufwand ein Fond gekocht, der (durch seinen hohen Kollagengehalt) so intensiv und dicht ist, dass man jede Stunde, die er auf dem Herd simmerte, schmecken kann. Der Star dieses Trios ist jedoch der Saiblingsbauch, der in kleine Würfel geschnitten und nur kurz angeflämmt wurde. Das verleiht ihm einen tollen Schmelz und leichte Raucharomen. Großer Genuss für den es nur drei Zutaten braucht: Fisch, Feuer und Salz.

Bild
Seeigel-Softeis mit Blätterteig-Mond

Das ungewöhnlichste Gericht des Abends ist ein Seeigel-Softeis auf Milchbasis, zu dem weitere salzige Akzente durch kleine Sardinen-Stücke und ein Karottensud kommen. Dazu genießt man einen kleinen, buttrigen Blätterteig-Mond mit Mohn. Dieser Gang würde „polarisieren“, gibt uns der Koch noch mit auf den Weg. Und hat Recht.

Bild
Jacobsmuschel aus Norwegen

Die darauffolgende norwegische Jakobsmuschel hat eine gute Qualität, könnte jedoch kräftigere Röstaromen vertragen. Ein Klecks Sauerteigcreme, rote Bete, fermentierte Brombeere, Lauch-Öl und Tomatenessig sind in der Summe erneut viele Elemente, die aber einen guten Gesamtakkord ergeben, bei dem die Säure der Brombeere zwischendurch aufblitzt.

Bild
Das geröstete Sauerteigbrot mit Deichkäsecreme

Als „Signatur-Gericht“ (Was viel sympathischer klingt als ein „Signature-Dish“, auch wenn es das gleiche ist), gilt hier der knusprige Sauerteig-Toast mit einer Deichkäse-Creme und rohen, gehobelten Champignons. Das Brot ist knusprig und warm, die Creme intensiv und ihre Schwere hervorragend mit etwas Essig kontrastiert. Bei den Pilzen kann man nur staunen, wie intensiv rohe Champignons duften und schmecken können. Die Portion ist kleiner als früher, das Vergnügen aber noch genauso groß.

Bild
Stör mit Wintertrüffel
Bild
Stör mit Portulakcreme
Bild
Saibling in Dashi gegart

Etwas weniger überzeugend ist der Stör, der über offenem Feuer gegart wurde. Seine Konsistenz ist mir zu weich, der Geschmack eher dumpf. Gut, dass der á la minute darüber gehobelte Wintertrüffel einen traumhaften Duft verströmt. Auch der fermentierte Pilzsud und die Würzigkeit der eingelegten Bärlauchknospen passen gut.
Den zweiten Teil vom Stör gibt es klein geschnitten in einem Teigschiffchen mit Portulakcreme und -blättern. Sehr süffig und gut. Dennoch erinnern wir uns an dieser Stelle mit leichter Wehmut an Gerichte, die Thomas Imbusch früher einfach direkt mit Topf auf den Tisch gestellt hat und bei denen man auch noch den letzten Tropfen Sauce auskratzte. Aber das kommt bestimmt wieder.
Auch der Saibling, der kurz in heißem Dashi gegart wurde, ist mir zu weich. Die klein geschnittenen Koriander-Stiele darunter bringen zwar noch etwas Biss und Würze, dennoch nicht ganz überzeugend. Statt zweier Süßwasserfische wäre hier etwas Abwechslung, zum Beispiel durch einen festeren Seefisch, wünschenswert.

Bild

Den Übergang zum süßen Teil des Menüs macht eine Milchcreme mit Milcheis, Honigbrot, Honigkaramell und eingelegtem Ingwer. Insbesondere dessen Kontrast tut dem ansonsten geschmacklich eher homogenen Pre-Dessert gut.

Bild
Göttlich: Das tourierte Brioche
Bild
Brioche mit Vanille-Sahne

Und dann: Grande Finale. Obwohl ich nicht zu Überschwang neige, entfährt mir ein „Oh mein Gott“. Stimmt wirklich. Warum? Weil frisch aus dem Ofen ein Briocheknoten aus den Händen von Mario Michaelis kommt. Das Gebäck duftet nach Zimt und Butter und man kann sich gar nicht dagegen wehren, wie man augenblicklich in Verzückung gerät. Das Ganze wird noch dadurch multipliziert, dass der Brioche zusätzlich wie ein Blätterteig mit Butter „getourt“ wurde. Der ohnehin saftige Teig wird durch diese Schichtung also zu einer himmlischen Kreuzung aus Blätterteig und Brioche. Nur die geschlagene Vanille-Sahne wäre mit etwas weniger Zucker ein noch besserer Begleiter.
Apropos Begleitung: Der Service im 100/200 rund um Sophie Lehmann ist auch heute wie gewohnt aufmerksam, zuvorkommend und dabei noch lässig. Die alkoholfreie Getränkebegleitung ist deutlich abwechslungsreicher geworden, unser Favorit war eine „Cuvee“ aus Elstar-Saft und einem Sirup aus fermentierter Quitte. Bei den Weinen ist an diesem Abend der Chardonney (sic!) vom Weingut Helde am Kaiserstuhl die größte Entdeckung. Bei der Spätlese spielen leichte Restsüße, Säure und Mineralität eindrucksvoll miteinander.

 

Offenlegung: Ich danke Thomas Imbusch und dem 100/200 für die Einladung.

Veröffentlicht am 01. März 2020, überarbeitet am 01. März 2020.
Bild
geschrieben von:
Benjamin Cordes
Benjamin Cordes ist Journalist und beschäftigt sich beruflich ausschließlich mit kulinarischen Themen. Als Autor recherchiert er Beiträge über die Qualität von Lebensmitteln und Restaurants für das NDR Fernsehen.
Anzeige

Kulinarisches

Alles, was man zum Grillen wissen muss.

Alles, was man zum Grillen wissen muss.

„Beef Buddy“ Tarik Rose und Steakexperte Dirk Ludwig im großen Interview. Worauf muss man beim Fleischkauf achten, sollte man vorher oder nachher salzen und was ist das Geheimnis vom „dry aging“? All das erfahrt Ihr hier.weiterlesen
Auf dem Wochenmarkt mit Thomas Sampl

Auf dem Wochenmarkt mit Thomas Sampl

Der Hamburger Koch Thomas Sampl hat es sich zum Ziel gesetzt, regionale Produzenten und kulinarische Vielfalt zu stärken. Sein Wissen und seine Enthusiasmus vermittelt er unter anderem bei Touren über Hamburger Wochenmärkte. Wir haben ihn dabei begleitet.weiterlesen
Bretagne trifft Hamburg

Bretagne trifft Hamburg

Frédéric Morel hat vor kurzem das „Seven Oceans“ in Hamburg verlassen, um sich in Münster selbstständig zu machen. Maurizio Oster aus dem Zeik wurde gerade vom Gusto-Führer zum Newcomer des Jahres ausgezeichnet. Zusammen mit Robin Bender haben die beiden im Restaurant „Zeik“ ein…weiterlesen
Brot backen: Der Mythos vom traditionellen Handwerk

Brot backen: Der Mythos vom traditionellen Handwerk

Vor kurzem sorgte eine große Geschichte im „Stern“ für Aufregung: In „Das Märchen vom guten Brot“ schreibt Bert Gamerschlag einen Abgesang auf das deutsche Bäckerhandwerk. Viele Brote seien nur angerührte Fertigmischungen, dazu noch voll mit Zusatzstoffen. Wie schlecht ist es also wirklich um das…weiterlesen

Kochbücher

#askToni – Wein ist unkompliziert!

#askToni – Wein ist unkompliziert!

8 / 10
Kochbuch von
18,00 €
Sommelier Toni Askitis, nach eigener Beschreibung „Düsseldorfer Grieche“, ist ein Social Media-Phänomen (und -talent!). Unter dem Hashtag #asktoni, der zugleich so etwas wie sein Künstlername geworden ist, beantwortet er allen, die sich für Wein interessieren aber noch keine totalen Cracks sind,…weiterlesen
100 Fingerfoods

100 Fingerfoods

7,5 / 10
25,00 €
Regelmäßig steht Gastgebern vor einer Party leichte Panik ins Gesichts geschrieben, angesichts der Frage, was man seinen Gästen denn wohl als Fingerfood servieren könnte. Schon wieder Schnittchen oder Tomatemozarellabasilikum? Höchste Zeit, dass ein Kochbuch das Thema aufgreift und Fingerfood auf…weiterlesen
100 Gerichte, die du gekocht haben musst, bevor du den Löffel abgibst

100 Gerichte, die du gekocht haben musst, bevor du den Löffel abgibst

7,9 / 10
Kochbuch von
20,00 €
Das sollen sie also sein. Die 100 Gerichte, die jeder von uns vor seinem Ableben gekocht haben muss. Das ist natürlich eigentlich in erster Linie eine ziemlich subjektive Angelegenheit. Trotzdem sind die Klassiker, die Annette Sandner hier zusammengetragen hat, (fast) alle das Nachkochen Wert.…weiterlesen
180° 20 min

180° 20 min

8,1 / 10
35,00 €
Das Blankeneser Fischhuus ist in den Hamburger Elbvororten eine Institution. Seit 1924 verkauft der privat geführte Betrieb Fisch, Meeresfrüchte, Feinkost und Räucherwaren aus der eigenen Räucherkammer. Nun werden das Traditionsgeschäft und seine Betreiber einem schönen Kochbuch gewürdigt, das zu…weiterlesen