Kulinarisches

Fisch gibt´s

Von Januar bis in den April konzentriert sich Thomas Imbusch auf die Produkte, die es zu dieser Zeit in der besten Qualität gibt: Fisch, Muscheln und andere Meerestiere. Aus ihnen kocht er mit seinem „schlichten“ Küchenstil Gerichte, die stets den Fokus auf die Qualität der Lebensmittel richtet. Ohne Ablenkungen, nur mit sinnvollen Ergänzungen. Beeindruckend.

Das aktuelle Winter-Thema im Hamburger Restaurant 100/200: „Wasser und Salz“

Bild
Bild
Bild
Bild
Der Auftakt

Das Procedere zu Beginn unseres Besuchs im 100/200 kennen wir schon vom ersten Mal, es ist erneut ein schöner und sehr gelungener Auftakt: Zum Aperitif an die große Fensterfront mit Blick auf Hafen und Lichter, danach an die offene Küche für fünf kleine Einstimmungen, die sich an je einer Geschmackrichtung orientieren. Den Anfang macht ein Zwiebel-Macaron mit geschmorter und erstaunlich süßer Roscoff-Zwiebel, gefolgt von einer pochierten Auster mit Kimchi und deutlicher Salznote. Für die Säure steht eine Art Shortbread mit Alge, Sanddorngel und Stechapfel. Die Bitterkeit wird durch eine kandierte Olive mit dem weißen Inneren einer Zitronenschale verkörpert (ohne Bild). Zum Abschluss folgt für „umami“ (herzhaft) eine Brühe aus den Schalen und Köpfen der Garnelen, die uns später noch im Menü begegnen. All diese „Snacks“ sind schlüssig und passend zu ihrer Geschmacksrichtung, doch die Brühe beeindruckt am meisten. Durch langes Anrösten haben die Schalen ihr volles Aroma entfaltet, würzig, tiefgründig und sehr köstlich.

Bild

Unser Platz an diesem Abend ist vermutlich der beste, den man zu zweit haben kann. Am Hochtisch mit Blick auf den wuchtigen Molteni-Herd und auf den Küchenpass, an dem Thomas Imbusch, sein Souschef Mario Michaelis und die weiteren Köche die letzten Handgriffe an den Speisen vornehmen.

 

Bild

Das Brot ist erneut Spitzenklasse. Dieses Mal ist es ein Weizensauerteig-Brot mit kräftiger Kruste und knusprigem Schrot, grobporig und saftig. Dazu ist die cremige Joghurt-Butter mit leicht säuerlicher Note die perfekte Ergänzung. Von ihr bekommen wir später am Abend noch etwas Nachschub, weil wir sie uns so dick aufs Brot geschmiert hatten. So sollte man das hier nämlich machen.

 

Bild

Das Menü beginnt mit einem knusprig und zugleich saftig gebratenen Toast, den wir mit der Hand essen. Auf ihm befindet sich eine Garnelen-Mayonnaise, rohe und lediglich kurz angeflämmte Förde-Garnelen aus der nähe von Kiel, obenauf knusprig gebratene Steifen vom Austernpilz. Das zu essen macht unheimlich Spaß. Die Garnelen bringen zwar nicht viel Eigengeschmack mit, dafür einen bislang nicht gekannten, knackigen Biss. Eine leichte Säure (durch Zitronensaft?) bringt alles ins Gleichgewicht. Das erste große sensorische Highlight des Abends.

 

Bild

Der nächste Gang ist mindestens ungewöhnlich: Eine Nocke von sehr fein geschnittenem, herbem Sauerkraut, ein Parmesansud, Dillöl und von einer handgetauchten Jacobsmuschel nicht etwa wie gewohnt der weiße Muskel sondern Bart und Corail (Rogen). Letzterer wird sonst auch gerne mal aussortiert und ist nur bei Top-Qualität genießbar. Während die Bärte eher nur Konsistenz und Röstaromen vom scharfen Anbraten mitbringen, ist der Corail zum Staunen gut. Cremig, mild und leicht salzig. Das Sauerkraut ist dazu ein starker Kontrast, der Sud schmeckt nicht vordergründig nach Parmesan sondern in erster Linie herzhaft.

 

Bild

Eine weitere Demonstration, was erstklassige Qualität bedeutet, ist der Muskel der Jacobsmuschel. Er ist praktisch roh, von sehr angenehm festem Biss und deutlich süßlich. Man kann eigentlich nur staunen, was das Meer für unterschiedliche Delikatessen hervorbringt. Unter der Muschel befindet sich eine Sanddorncreme mit sauer-herbem Aroma, oben auf ein paar Späne der Macadamia-Nuss und ein paar Tropfen Petersilien-Öl. Im Vordergrund stehen geschmacklich aber das hervorragende Muschelfleisch und der Sanddorn.

 

Bild

Weiter geht es mit einem äußerst spannenden japanisch-deutschen Brückenschlag: Störbauch, den Thomas Imbusch nach „unagi“-Art zubereitet hat. Dazu hat er aus Räucheraal, Sojasauce und Zucker einen intensiven, süßlichen Lack gekocht und damit den Stör glasiert. Für den norddeutschen Einschlag sorgen rote Beete, Kartoffelcreme und knusprig frittierter Grünkohl. Ergibt zusammen eine tolle Vielfalt unterschiedlichster Konsistenzen und Aromen und ist dabei herrlich heiß, süß und herzhaft.

 

Bild

Auf diesem Niveau geht es direkt weiter: Stör-Filet, das in einem konzentrierten Rinderfond pochiert wurde, liegt in einer pechschwarzen Sauce. Sie basiert ebenfalls auf einem Räucheraal-Auszug, die Besonderheit ist aber die Verwendung von Kombucha, das Süße und Säure beisteuert, was an die Aromen von Süßwein erinnert. Hinzu kommt die Allzweckwaffe braune Butter. Ihre schwarze Farbe hat die Sauce dem Einsatz von Pflanzenasche zu verdanken, was optisch an Tintenfisch-Tinte erinnert. Besonders aufregend ist das, was sich oben auf dem Fisch befindet: eine Champignon-Creme, für die die Pilze angeschwitzt wurden und anschließend fein gemixt wurden. Darüber befinden sich Späne, die aus der Entfernung fast wie weißer Trüffel oder Bonito-Flocken aussehen, sich aber als feinst gehobelte rohe Champignons entpuppen. Der Duft  ist betörend.

 

Bild
Bild
Bild

Als Dessert serviert Mario Michaelis eine Schnitte aus knusprigem Boden, saftigem Biskuit mit Tabak und einer Schokomousse mit Tee, daneben liegt eine Nocke aus Milch-Eis mit sanfter Rum-Note. Auch die Petit Four sind erneut köstlich: ein intensiv-schokoladiger Cookie und ein Windbeutel mit Schokoladenganache und frischen, intensiven Zitrus-Aromen.

 

Eine eigene Erwähnung hat auch der Service verdient. Die Mischung aus Aufmerksamkeit und Lockerheit, ohne dabei jemals nachlässig zu werden, ist beeindruckend. Das gilt für jeden einzelnen im Team von Sommelière Sophie Lehmann, über Betriebsleiter Jan-Philipp Fricke bis zum Neuzugang Lino Wizani, der aus dem Louis C. Jacob dazugestoßen ist. Hier ist man gerne zu Gast. Und es ist schön zu sehen, wie sich das Restaurant weiterentwickelt, Gelassenheit und Sicherheit noch größer geworden sind. Mal sehen, was da noch kommt. Am 26. Februar wird übrigens der neue Guide Michelin veröffentlicht.

 

Nachtrag 26.02.: Er hat ihn! Das „100/200“ wurde mit einem Stern ausgezeichnet.


Ich danke Thomas Imbusch für die Einladung, die Getränke wurden selbst bezahlt.

Veröffentlicht am 10. Februar 2019, überarbeitet am 10. Februar 2019.
Bild
geschrieben von:
Benjamin Cordes
Benjamin Cordes ist Journalist und beschäftigt sich beruflich ausschließlich mit kulinarischen Themen. Als Autor recherchiert er Beiträge über die Qualität von Lebensmitteln und Restaurants für das NDR Fernsehen.
Anzeige

Kulinarisches

Alles, was man zum Grillen wissen muss.

Alles, was man zum Grillen wissen muss.

„Beef Buddy“ Tarik Rose und Steakexperte Dirk Ludwig im großen Interview. Worauf muss man beim Fleischkauf achten, sollte man vorher oder nachher salzen und was ist das Geheimnis vom „dry aging“? All das erfahrt Ihr hier.weiterlesen
Auf dem Wochenmarkt mit Thomas Sampl

Auf dem Wochenmarkt mit Thomas Sampl

Der Hamburger Koch Thomas Sampl hat es sich zum Ziel gesetzt, regionale Produzenten und kulinarische Vielfalt zu stärken. Sein Wissen und seine Enthusiasmus vermittelt er unter anderem bei Touren über Hamburger Wochenmärkte. Wir haben ihn dabei begleitet.weiterlesen
Bretagne trifft Hamburg

Bretagne trifft Hamburg

Frédéric Morel hat vor kurzem das „Seven Oceans“ in Hamburg verlassen, um sich in Münster selbstständig zu machen. Maurizio Oster aus dem Zeik wurde gerade vom Gusto-Führer zum Newcomer des Jahres ausgezeichnet. Zusammen mit Robin Bender haben die beiden im Restaurant „Zeik“ ein…weiterlesen
Brot backen: Der Mythos vom traditionellen Handwerk

Brot backen: Der Mythos vom traditionellen Handwerk

Vor kurzem sorgte eine große Geschichte im „Stern“ für Aufregung: In „Das Märchen vom guten Brot“ schreibt Bert Gamerschlag einen Abgesang auf das deutsche Bäckerhandwerk. Viele Brote seien nur angerührte Fertigmischungen, dazu noch voll mit Zusatzstoffen. Wie schlecht ist es also wirklich um das…weiterlesen

Kochbücher

#askToni – Wein ist unkompliziert!

#askToni – Wein ist unkompliziert!

8 / 10
Kochbuch von
18,00 €
Sommelier Toni Askitis, nach eigener Beschreibung „Düsseldorfer Grieche“, ist ein Social Media-Phänomen (und -talent!). Unter dem Hashtag #asktoni, der zugleich so etwas wie sein Künstlername geworden ist, beantwortet er allen, die sich für Wein interessieren aber noch keine totalen Cracks sind,…weiterlesen
100 Fingerfoods

100 Fingerfoods

7,5 / 10
25,00 €
Regelmäßig steht Gastgebern vor einer Party leichte Panik ins Gesichts geschrieben, angesichts der Frage, was man seinen Gästen denn wohl als Fingerfood servieren könnte. Schon wieder Schnittchen oder Tomatemozarellabasilikum? Höchste Zeit, dass ein Kochbuch das Thema aufgreift und Fingerfood auf…weiterlesen
100 Gerichte, die du gekocht haben musst, bevor du den Löffel abgibst

100 Gerichte, die du gekocht haben musst, bevor du den Löffel abgibst

7,9 / 10
Kochbuch von
20,00 €
Das sollen sie also sein. Die 100 Gerichte, die jeder von uns vor seinem Ableben gekocht haben muss. Das ist natürlich eigentlich in erster Linie eine ziemlich subjektive Angelegenheit. Trotzdem sind die Klassiker, die Annette Sandner hier zusammengetragen hat, (fast) alle das Nachkochen Wert.…weiterlesen
180° 20 min

180° 20 min

8,1 / 10
35,00 €
Das Blankeneser Fischhuus ist in den Hamburger Elbvororten eine Institution. Seit 1924 verkauft der privat geführte Betrieb Fisch, Meeresfrüchte, Feinkost und Räucherwaren aus der eigenen Räucherkammer. Nun werden das Traditionsgeschäft und seine Betreiber einem schönen Kochbuch gewürdigt, das zu…weiterlesen