Das Kochbuch
Der österreichische Sternekoch Paul Ivic hat sich mit seinem neuen Kochbuch etwas Großes vorgenommen: Die Versöhnung von Nachhaltigkeit und Kulinarik. Zu Recht spricht er in seinem Buch das problematische Image des nachhaltigen Kochens an, das oft mit Askese und Verzicht in Verbindung gebracht wird. Auch mit seiner Feststellung, dass Nachhaltigkeit beim Essen anfängt, hat er Recht. Doch sein Buch hat leichte Schwächen, die die Verbreitung seiner Botschaft etwas erschweren.
Das Thema
Paul Ivic wählt für seinen Buch einen sehr persönlichen Einstieg, in dem er auf die Dringlichkeit aufmerksam macht, wonach die Lebensmittelproduktion und -verarbeitung dringend nachhaltiger werden müsse. Persönliche Grenzsituationen mit Alkohol, Schmerzmitteln und sozialer Isolation nennt er als Ursprung seines persönlichen Lebenswandels, der ihn die Welt nun bewusster wahrnehmen lasse. Dazu zähle auch, den Wert von Lebensmitteln zu erkennen und schätzen zu lernen. Daraus leitet er unter anderem die Forderung ab, zum Beispiel auch Blätter, Stiele und Stängel, die sonst in den Müll wandern würden, zu würdigen und zu verarbeiten. Dass es ihm ernst ist, daran lässt Ivic keinen Zweifel. In seinem Kochbuch genauso wenig, wie wenn man ihn bspw. auf Podiumsdiskussionen erlebt.
Der Inhalt und die Rezepte
Das Buch ist in vier Rezeptkapitel und drei Reportagen gegliedert. Bei den Rezeptkapiteln erschließt sich die Mischung aus englischsprachigen und deutschen Titeln nicht und scheint auch keinen inhaltlichen Mehrwert zu bieten.
Ivics Küchenstil ist geprägt von einem Spiel aus Süße und Säure, gerne setzt er auch asiatische Akzente und spielt mit Zitrusaromen.
In „From Root fo Leaf“ zeigt Ivic Rezepte, für die Gemüse und Obst möglichst komplett verarbeitet werden sollen. So sollen etwa die Schalen der Melonen für die Melonen-Gazpacho zu „Melonenschalen-Kimchi“ verarbeitet werden. Mit „Alles vom Blumenkohl“ zeigt Ivic Rezepte für den Kohl im Ganzen, eine Salsa aus den Blättern, geschmorte Stiele, Salat aus den Röschen und wie man das Blumenkohlgrün zu einer Art Spinat verarbeitet. Es folgen Pestorezepte (u.a. für Karottengrün), Mayo aus übrig gebliebenem Eiweiß und Schupfnudeln mit Mohn und Rhabarber, für dessen Sud auch noch die Schalen verarbeitet werden.
„Mit Laib und Seele“ verspricht Rezepte für übrig gebliebenes Brot, beinhaltet davon aber gerade mal zwei. Eine Suppe und ein Getränk. Das ist für ein eigenes Kapitel unverhältnismäßig wenig und unproportional.
In „Sharing Chef´s Garden“ zeigt Ivic jeweils kleine Gerichte, die man in die Mitte des Tisches zum Teilen stellen kann, etwa gebratenen Rosenkohl, Kohlrabi-Salat, Auberginencreme und marinierte Kichererbsen.
In den Kapiteln „Haltbar machen“ und „Basics“ geht es um Eingelegtes und Grundrezepte.
Das „Problem“ des nachhaltigen Kochens
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ivicis Rezepte gehören in Anspruch, Geschmack und Kreativität mit Sicherheit zu den besten und weiten den persönlichen Horizont, indem sie ungeahnte Zubereitungsmöglichkeiten zeigen. Und doch kommen uns beim Lesen seines Buches auch kritische Gedanken. Denn wenn Rezepte zu nachhaltigem Konsum anregen sollen, sollten sie aus unserer Sicht niedrigschwellig und unkompliziert sein. Doch einige der Rezepte benötigen relativ viele Zutaten und/oder aufwändige, mehrstufige Arbeitsschritte. Oft läuft auch der (energieintensive) Ofen. Kein Problem in einem Restaurant wie dem Tian. Aber wie alltagsnah ist das? Und wie nachhaltig ist es wirklich, wenn man aus dem Gemüse zwar auch noch das letzte rausholt, dafür aber viel Zeit und Energie investiert? Klar, schrumpelige Karotten kann und muss man noch essen, statt sie wegzuwerfen. Aber wären manche Gemüse-Bestandteile nicht auf dem Komposthaufen oder in der Biotonne besser aufgehoben, wenn man auch die Energiebilanz in die Gesamtrechnung mit einbezieht? Komplexe Fragen, die vermutlich nur wissenschaftliche Arbeiten beantworten könnten, die man aber durchaus mit bedenken sollte.
Der Autor
Der überaus sympathische Paul Ivic (siehe seine unterhaltsamen Kochduelle mit Sepp Schellhorn auf Instagram) ist seit 2011 Küchenchef des TIAN in Wien. Es ist eines der wenigen vegetarischen Restaurants weltweit, das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet ist. Ivic darf man daher aus gutem Grund als Pionier der vegetarischen Spitzenküche bezeichnen.
Die Zielgruppe und der Schwierigkeitsgrad
Ein Kochbuch für Hobbyköche mit Interesse an Hintergründen und Anspruch auch an aufwändigeren Zubereitungen.
Die Optik
…ist aus unserer Sicht eher eine Schwäche des Buches. Denn auch wenn Satz, Fotografie und Styling für sich genommen alle gut sind, ist die Unruhe und geringe Übersichtlichkeit des Buches ein Problem. Es vermischt mehrere Layouts, verschiedene Typografien, Schriftgrößen, Bildergrößen (mal in Farbe, mal schwarz-weiß) und die fehlenden Kapitelbilder erschweren die Orientierung zusätzlich. Das ist durchaus eine Kritik auf hohem Niveau, aber Schlichtheit und Übersichtlichkeit sind aus unserer Sicht immer noch unübertroffen.
Die Zutaten
Ein regelrechter Affront gegen über diesem Buch wäre es, das Gemüse nicht direkt bei einem Erzeuger oder im Bioladen zu kaufen. Das sollte es einem wert sein, schließlich benötigt man für die Rezepte kein Fleisch und generell nur wenige tierische Produkte.
Das Fazit
Trotz aller Kritik sind Ivics Rezepte die Lektüre und ein Nachkochen wert. Auch wenn es etwas bedauerlich ist, dass das Thema nicht übersichtlicher und alltagsnäher umgesetzt wurde.