Das Kochbuch
Fast 400 (!) Seiten hat das vegetarische Kochbuch von Paul Ivić. Nicht, dass es nicht vieles Wichtigeres gäbe als diese rein quantitative Angabe, die noch nichts über die Qualität aussagt. Und doch steckt da eine Aussage drin: Hier ist jemand mit schier endloser Energie, Kreativität und kulinarischem Sendungsbewusstsein unterwegs. Man staunt, wundert und freut sich, was hier für ein kostbarer Schatz vor einem liegt.
Kein gewöhnliches vegetarisches Kochbuch
Eigentlich hätten wir diese Rezension wie viele andere zuvor geschrieben und auch auf Fehler, Ungereimtheiten und inhaltliche Schwächen hingewiesen. Dann hätten wir zum Beispiel angemerkt, dass die Angabe im Saisonkalender, dass Zwiebeln angeblich erst ab Juni und bis Oktober wachsen sollen, wenig aussagekräftig ist, wenn sie doch das ganze Jahr über lagerfähig und erhältlich sind. Oder dass man beim Brokkoli mit Basilikumcreme am besten als erstes den Quinoa aufsetzen würde, weil der eine knappe halbe Stunde und damit am längsten braucht.
Aber solche Dinge sind hier höchstens Randnotizen. Denn dieses Kochbuch ist so dermaßen voll mit fantastischem Inhalt und hat so viele Stärken, dass das nur kleinlich wirken und das Buch in ein falsches Licht rücken würde. Dieses Werk ist in seiner Bandbreite und lehrreichem Inhalt fast beispiellos. Es scheint, als treibe Paul Ivić an, was er im Vorwort präzise und korrekt auf den Punkt bringt: Vegetarische Ernährung ist kein Trend, sondern eine Notwendigkeit aus ökologischen, sozialen und ökonomischen Gesichtspunkten.
Die Rezepte
Es ist gar nicht so leicht, die über 300 (!) Rezepte zu verorten, zu groß ist die Bandbreite. Sie reicht von Rezepten auf Sterne-Niveau bis zu bodenständiger Alltagsküche. Das macht zugleich auch den großen Reiz des Buches aus. Einige Gerichte sind vollwertige Mahlzeiten, andere lassen sich bestens mit anderen Dingen kombinieren.
Stilistisch-aromatisch sind die Gerichte klar im mittel- bzw. westeuropäischen und vor allem mediterranen Raum zu verordnen. Asiatische Einflüsse sind selten. Desserts gibt es nicht. Viele Rezepte sind vegan.
Ein Versuch, die große Bandbreite mit einigen Beispiel zu illustrieren: Miso-Haselnuss-Auberginen, Buns mit Pilzfüllung und Erdnüssen, Kartoffelrösti mit Pfifferlingen und pochierten Eiern, Morchel-Pasta mit Erbsen, Steinpilzrisotto, Käsespätzle, Wurzelgemüsesalat mit Kräuterdressing, Kürbis-Gnocchi, Spargel-Quiche, Baba Ganoush mit Kichererbsen-Salat, Zucchini Tarte-Tatin.
Die Zielgruppe
Dieses Buch muss man haben. Ganz egal, wo und wie man sich verortet.
Der Schwierigkeitsgrad
Variiert zwischen leicht und anspruchsvoll, illustriert durch die 1-3 stilisierten Fenchelknollen.
Die Zutaten
An erster Stelle steht hier das Gemüse. Kauft man in Ivićs Sinn ein, achtet man auf saisonale Ware in Bio-Qualität. Hier und da setzt der Spitzenkoch auch gerne etwas hochpreisigere Zutaten wie Portwein oder Noilly Prat ein. Das ist aber eher die Ausnahme als die Regel.
Der Autor
Paul Ivić ist Sternekoch und hat mit den TIAN-Restaurants gezeigt, was mit vegetarischer Küche möglich ist. Eine große Empfehlung ist auch sein Instagram-Account mit vielen bereichernden Kochtipps. Das Tian in Wien wird mit einem Stern im Guide Michelin ausgezeichnet.
Die Optik
Eine glatte „1“ gibt es für die äußerst ästhetische Foodfotografie von Ingo Pertramer. Das glänzend-cremige Steinpilzrisotto muss man gesehen haben. Viele der Bilder sind so gut, dass es besser gewesen wäre, sie ausschließlich ganzseitig, statt auch in kleineren Formaten abzudrucken. Aber dafür war wahrscheinlich angesichts des pickepackevollen Inhalts einfach nicht genug Platz. Dass Paul Ivić auch das Styling persönlich übernommen und sich die Zeit dafür genommen hat, kann man nur als Zeichen werten, wie wichtig er das Ganze genommen hat. Respekt.
Das Fazit
Dieses Buch wirkt, als habe sich jemand nicht bremsen können, und den Verlag Seite um Seite um noch mehr Umfang gebeten. Und wir alle profitieren nun davon. Dafür kann man sich aus Dank nur verneigen. Nach sehr, sehr langer Zeit vergeben wir damit erstmals wieder eine „9“ vorm Komma.