Das Kochbuch
Irgendwann war es 3-Sternekoch-Norbert Niederkofler klar, was sich seine Gäste von ihm wünschen: Sie wollten die Berge der Dolomiten nicht nur sehen und besteigen, sondern auch schmecken. Diese Einsicht war der Beginn von Niederkoflers „Cook the Mountain“-Konzept, in dessen Mittelpunkt eine Küche steht, die sich ausschließlich der Produkte aus der unmittelbaren Umgebung bedient. Die Evolution und Hintergründe seines kulinarischen Lebenswerkes erklärt Niederkofler in diesem Kochbuch. Es ist nicht nur wegen seines großen Formates ein monumentales Werk.
Norbert Niederkofler und seine Wandlung zum Alpenkoch
Etwa anderthalb Stunden östlich von Bozen liegt der kleine Ort St. Kassian in Ladinien. Hier im Hotel Rosa Alpina kocht Norbert Niederkofler bald seit 30 Jahren. Aus einer Pizzeria macht er bald das Gourmetrestaurant „St. Hubertus“, es folgten der erste und zweite Stern. Und dann? Für Niederkofler war schnell klar, dass er auch den dritten erreichen wollte. Doch wie? So wie viele seiner Kollegen das immer Gleiche kochen, mit den immer gleichen, austauschbaren Luxusprodukten, vollkommen entkoppelt von der Region, in der er kochte? Das konnte es nicht sein. Also befragte er seine Gäste. Mit einem klaren Ergebnis: Sie wollten die Berge der Dolomiten nicht nur sehen und besteigen, sondern auch schmecken. Also krempelte Niederkofler das „St. Hubertus“ um und begann, eine avantgardistische, streng saisonale Novaregio-Küche zu kochen, wie man sie aus den nordischen Ländern (z. B. Noma) kennt. Mit ihr soll man durch das Essen die Kultur des Landes entdecken und verstehen. Dass der Weg dorthin mehr als steinig war, beschreibt Niederkofler eindrucksvoll. Er lief gegen Wände, schätzte das Angebot der Bauern und der Natur falsch ein, verlor Gäste. Aber 2017 wurde sein Mut mit dem dritten Stern belohnt. Das St. Hubertus zählt damit zu einigen wenigen Restaurants, die ohne gängige Edelprodukte kochen und so hoch bewertet werden. Das Menü im St. Hubertus kostet (trotzdem) 280 Euro.
Die Rezepte
Das Buch ist, wie sollte es anders sein, nach den Jahreszeiten strukturiert. Die Gerichte wechseln sich dabei immer wieder mit Portraits und Reportagen über Niederkoflers Produzenten ab. Die Gerichte tragen schlichte Namen, sind nur nach ihren Zutaten benannt. Zu Beginn jedes Jahreszeiten-Kapitels, listet Niederkofler minutiös auf, welche Kräuter, Gemüse und weiteren Produkte dann gerade in den Dolomiten Saison haben. Einige Beispiele für die Gerichte sind Sauerampfer-Fichten-Granita, Holunder-Kombucha, wilder Spargel in Bienenwachs, Forellenbäckchen, Lamm und Chicoree, Milchferkel-Karree, Fleisch vom Tiroler Grauvieh, „Panna Cotta“ mit Wald-Erdbeeren und Rhabarber. Klingt vielleicht manchmal banal – ist es aber nicht. Und so blättert man sich von Seite zu Seite und erschrickt am Ende des Buches: Wo sind bloß die rund 60 Rezepttexte zu den Gerichten? Die Lösung: In kompakter Form in einem zweiten Buch, das sich in der Verpackung versteckt hat. Erleichterung. Denn das Lesen und nachempfinden, wie Rezepte dieses Küchenstils entstehen, ist natürlich ein zentrales Element beim Genuss solch eines Kochbuches.
Die Zielgruppe und der Schwierigkeitsgrad
So schlicht manche Gerichte auch anmuten, sie sind es nicht. Die Rezepturen sind zum Teil äußerst langwierig, mehrstufig und komplex. Ganz zu schweigen von den Produkten, die man erstmal bekommen muss und dann auch noch in dieser Qualität. In Summe also kein Buch für Laien – jedenfalls nicht zum Nachkochen. Denn auch Lesen bildet, fasziniert und inspiriert. Ambitionierte Hobbyköche und Profis werden mit diesem Buch hingegen viel Freude haben.
Die Optik
Das Buch ist fast so groß wie eine Gehwegplatte (ca. 30x30cm) und ist hochwertig verarbeitet. Auf dickem, mattem Papier finden sich insgesamt mehr als 350 großformatige, eindrucksvolle Fotografien der südtiroler Landschaften und schroffer Gipfel. Nicht selten doppelseitig. Als würde man wie ein Adler durch die Alpen fliegen. Fantastisch.
Das Fazit
Es gibt Kochbücher, die sind nicht nur einfach „gut“, sie tragen darüber hinaus auch zur Weiterentwicklung der Kochkultur bei. So ist es auch hier. Viel mehr kann man eigentlich nicht erreichen.