Warum begegnen sich Feuilleton und Gastronomie bislang eigentlich immer noch so selten? Dabei gibt es doch so viele gemeinsame Themen und Fragestellungen: Ist Kochen Kunst oder Handwerk? Ist Fleisch esssen ethisch in Ordnung oder moralisch verwerflich? Ist die Entwicklung einer Küchen- und Gastronomiekultur nur Zufall und Mittel zum Zweck (satt zu werden, im besten Fall ohne sich zu langweilen) oder vielleicht eng mit anderen gesellschaftlichen und historischen Prozessen verbunden?
Die Philosophie des Kochens bringt nun endlich beide an einen Tisch, bzw. in ein Buch. Und nicht nur diese beiden sondern auch noch Naturwissenschaft, Philosophie und Soziologie. Stevan Paul war es, der sie alle für sein aktuelles Buchprojekt angefragt hat – und bekommen! Und diese Mischung aus 18 Philosophen, Soziologen, Wissenschaftlern, Köchen, Sommeliers, Künstlern, Journalisten und Trendforschern macht dieses Buch zu etwas sehr besonderem für alle, für die Essen mehr ist als bloß Nahrungsaufnahme.
Die Kapitel sind so unterschiedlich wie es auch Gerichte sein können: mal leicht verdaulich, mal schwer zugänglich und sperrig, mal so einfach zu verstehen wie ein Vanilleeis, mal so schwer zu durchdringen wie ein (modernes) Dessert ohne Zucker mit viel Säure. Eine Rezension nach unseren üblichen Maßstäben und Kriterien ist auf dieses Buch nicht anwendbar, stattdessen hier ein paar Highlights aus den Kapiteln.
Der Journalist Nikolai Wojtko beginnt ganz von vorne: In seinem Kapitel schreibt er, wie das Feuer zum Menschwerdung beitrug, welch bedeutenden Schritt der Wechsel von rohem zu gegartem Essen für den Menschen bedeutete. Dass das Kochen gar die Vorraussetzung gewesen sei, den Menschen in die Lage zu versetzen, heutzutage selbstverständliche Grundnahrungsmittel wie Getreide verwerten zu können. Der Verdauuungsapparat sei in der Folge kleiner geworden, das Gehirn größer. Auch der Kauapparat sei geschrumpft, erhielt dadurch die Fähigkeit zur Sprache. Waren jemandem diese Zusammenhänge zuvor schon bekannt? Uns nicht.
Ähnlich ist das Kapitel von Physiker Thomas Vilgis: er beschreibt, dass es für einige Menschen von Vorteil war, ein Enzym zu besitzen, das mit Alkohol klar kam. Denn so sei das Nahrungsangebot für sie erweitert gewesen, weil nun auch leicht vergorene Früchte in Frage kamen. Oder dass das Feuer Lebensmittel sicher, weil keimfrei machte. Dass das langsame Garen in Erdkuhlen mit warmem Wasser Jahrtausende alt ist und die Unterscheidung zwischen bitter und süß dem Menschen die Fähigkeit gibt, zwischen genießbar und ungenießbar zu unterscheiden. Denn es gäbe kein Lebensmittel, das süß und giftig gleichzeitg sei, schreibt Vilgis.
Bei Hanni Rützler und Wolfgang Reiter in ihrem Kapitel über privates Kochen und mediale Selbstdarstellung findet sich ein sehr spannender Aspekt über Kochbücher: wie einige von ihnen nur personalisiertes Produktmarketing seien, ohne Beitrag zu kulinarischen Kultur und deren Weiterentwicklung. Und es gleichzeitig aber auch Themen gäbe, die nicht nur schnellebigen Trends entsprechen wollten sondern grundsätzliche Verschiebungen in der Kulinarik dokumentierten wie einige herausragende Bücher zur vegetarischen Küche. (Haben wir ja schon immer gesagt!)
Die ganze Vielfalt dieses Buches zeigt sich auch im Kapitel über das „Sosein“, in dem ein ganzes (und ganzheitliches) Restaurant-Konzept erklärt wird. Von der Arbeitsweise, den Produkten und der Menü-Dramaturgie (an dessen Beginn die „Inszenierung des Brotes“ steht) bis zu seinem intelektuellen und philosophischen Überbau.
Ebenso spannend ist das Kapitel, das Tanja Grandits zusammen mit Stevan Paul geschrieben hat. Über ihre monochromen Gerichte und deren Vorteil, dass man sich durch ihre farblich abgestimmte Zusammenstellung der Produkte besser auf den Geschmack konzentrieren könne und nicht von unterschiedlichen Farben abgelenkt sei. Grandits schreibt, monochrome Gerichte seien klarer, Zutaten in der gleichen Farbe würden auch geschmacklich am besten harmonieren. Und wenn man ihre präzisen Schilderungen liest, bekommt man einen Eindruck davon, wie durchdacht ihr Küchenstil ist.
Und dann sind da noch die Kapitel über den von vielen schier vergötterten Traditionsbäcker Arnd Erbel mit einem Einblick in Arbeit und das Denken eines der besten und verehrtesten Bäcker des Landes. Das Kapitel von Hendrick Haase über die politische Dimension des Essens. Die besonders humorvoll geschrieben Philosophie des Trinkens von Sebastian Bordhäuser und der Text von Claudio del Principe über das Thema Zeit beim Kochen. Und, und, und.
Fazit
Man könnte die Aha-Erlebnisse, die man bei der Lektüre dieses Buches hat, immer weiter aneinander reihen, so viele sind es. Aber damit würde man zu viel vorweg nehmen und es bliebe nichts mehr zum selbst lesen. Und das können wir jedem nur dringend empfehlen!