Hagen Grote

„Und was suchst du hier?“ fragte mich der kleine Italiener vor Jahrzehnten misstrauisch in seinem finsteren Gastarbeiterlädchen. Neugierig war ich hierher auf der Suche nach Stockfisch geraten, der sonst nirgendwo angeboten wurde. Wenig vertrauenerweckend stapelten sich in einer Ladenecke unförmige,fischähnliche Stücke in einer dicken Salzschicht. Den wenig einladenden Anblick übertraf bei Weitem ein penetranter,unangenehmer Fischgeruch. Ich griff dennoch zu und machte beim Experimentieren in meiner Küche erste negative Erfahrungen. Heute ist für mich ein erstklassiges Stockfisch-Püree eine Delikatesse. Mein Anfängerfehler: Mangelndes Wissen und Erfahrung bei der Produktauswahl und eine bedenkliche Einkaufsquelle. Stockfischfilets müssen dickfleischig und ganz weiß mit kurzer Faser sein. Keinesfalls darf man gelbliche, zähe, dünne Teile kaufen. Erster Schritt zur guten Küche ist die Beschaffung und Auswahl exzellenter Produkte. Das klingt einfach, ist für den nicht professionellen Koch jedoch schwierig. Leider fehlen uns die fantastischen Märkte unserer südlichen Nachbarn, die jedermann (und nicht nur Köchen) zugänglich sind. Die zunehmende Industrialisierung der Lebensmittel, Verarmung der Vielfalt durch bürokratische Normung und Ersatz des natürlichen Geschmacks durch Chemie hat ungeahnte Formen angenommen. Zusätzlich hat die uneingeschränkte Verfügbarkeit der allermeisten Produkte rund ums Jahr unsere Wahrnehmung jahreszeitlicher Qualitätsschwankungen durch Gewöhnung eingeschränkt. Spargel oder Erdbeeren gibt es problemlos rund ums Jahr. Dennoch sind Früchte und Gemüse unvergleichlich besser (und auch preiswerter), wenn sie in unserer Nachbarschaft reifen und nicht aus weit entfernten Ländern eingeflogen werden. Mit Nachbarschaft meine ich hierbei die Länder Europas. Durch schnellen Transport und perfekte Kühlketten hat sich das Angebot guter, frischer Produkte so vervielfacht, wie es sich unsere Großeltern nicht vorstellen konnten. Die Qualität der Produkte und die daraus gekochten Gerichte sind ganz von allein viel besser, wenn man sich wie in früheren Zeiten beim Einkauf an die typischen Erzeugnisse der unterschiedlichen Jahreszeiten hält. Von Januar bis Mai gibt es die besten kleinen Artischocken aus Italien oder Frankreich. Dicke grüne Bohnenkerne sind von Februar bis Juni besonders zart. Perfekt sind frische junge Erbsen nur von Mitte Mai bis Mitte Juni. Wer sie einmal für die Zubereitung eines Erbsencremesüppchens frisch aus den Schoten gelöst hat, kann erst ermessen, welch enormer Unterschied immer noch zu den heute ausgezeichneten Tiefkühlerbsen besteht. Allerdings halten sich frische Erbsen selbst in der Schote nicht länger als 12 Stunden. Ich bin dankbar, wenn ich sie gelegentlich von meinem Nachbarn frisch geerntet aus seinem Gemüsegarten geschenkt bekomme.

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